Das Arbeitsschutzkontrollgesetz: Was Unternehmen wissen müssen
Im Jahr 2021 trat das Arbeitsschutzkontrollgesetz (ArbSchKG) in Deutschland in Kraft und markierte eine entscheidende Reaktion auf die sinkenden Besichtigungsquoten von Betrieben durch Aufsichtsbehörden. Angestoßen durch die Missstände in der Fleischwirtschaft während der COVID-19-Pandemie, zielt das Gesetz darauf ab, die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz durch strengere Kontrollen für alle Unternehmen in Deutschland und spezifische Regelungen für einige Industrien zu verbessern.
Knapp drei Jahre nach der Einführung des Gesetzes hat das Bundesamt für Arbeit und Soziales (BAMS) Anfang 2024 einen Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung der jährlichen fünf Prozent Mindestbesichtigungsquote veröffentlicht. Diesen möchten wir zum Anlass nehmen, um einen Blick auf den aktuellen Umsetzungsstand und die Folgen zunehmender Besichtigungen für Arbeitgeber zu werfen.
Das Arbeitsschutzkontrollgesetz (ArbSchKG) in Kürze – Aktueller Stand und Änderungen
Auswirkungen auf Unternehmen
“Das Arbeitsschutzkontrollgesetz ist ein wichtiger Schritt zu mehr Gesundheitsschutz und zu mehr Anstand in diesem Land. Denn wenn es in unserem Land um Zusammenhalt geht, geht es im Kern auch um den Wert und die Würde der Arbeit.“, erklärte Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales bei dessen Einführung. Die wesentlichsten Auswirkungen des ArbSchKG auf Arbeitgeber umfassen:
- Mindestbesichtigungsquoten
Ab 2026 sind die staatlichen Aufsichtsbehörden verpflichtet, mindestens fünf Prozent aller deutschen Betriebe pro Jahr zu kontrollieren. - Überwachung nach Gefährdungspotenzial
Arbeitgeber mit höherem Risikopotenzial (Risikogruppe I und II) für die Gesundheit der Beschäftigten unterliegen häufigeren Kontrollen. - Digitalisierung im Datenaustausch
Der Datenaustausch von Begehungsprotokollen zwischen den Landesbehörden und den Unfallversicherungsträgern wird digitalisiert. - Erweiterte Rechte des Aufsichtspersonals
Inspektionen dürfen nun auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten durchgeführt werden. - Einrichtung einer Bundesfachstelle
Eine neue Fachstelle soll die Maßnahmen und die Einhaltung der Besichtigungsquoten zukünftig überwachen. - Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft
Kernfunktionen in Fleischbetrieben müssen durch fest angestellte Beschäftigte ausgeführt werden. - Verbesserte Bedingungen in Gemeinschaftseinkünften
Arbeitgeber sind verantwortlich, angemessene Gemeinschaftsunterkünfte zu stellen. Dies spiegelt sich u.a. auch in der Anpassung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) wieder. - Ermächtigungen bei Epidemien
Das BMAS kann in epidemischen Lagen nationale Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen, um schnell auf akute Arbeitsschutz- und Gesundheitsrisiken zu reagieren.
Zwischenstand zur Umsetzung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes (ArbSchKG)
Veränderungen in der Fleischwirtschaft
Das Gesetz hat innerhalb kürzester Zeit die Fleischwirtschaft verändert. Bereits Ende 2020 haben die großen Fleischbetriebe wie Tönnies, Westfleisch, oder Vion damit begonnen das Modell “Werkvertragsbeschäftigte” abzuschaffen (Link). Dazu wurden oftmals ganze Werkvertragsunternehmen durch die Fleischbetriebe übernommen, sodass dort heute tausende zusätzliche Beschäftigte in festen Arbeitsverhältnissen tätig sind. Zwar wurden dadurch die “Spielregeln” der Fleischwirtschaft geändert, dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu besseren Arbeitsbedingungen. Denn nur starke Arbeitnehmervertretungen und eine Involvierung des Arbeitsschutzes werden auf Dauer dazu führen, dass die Verhältnisse in der Fleischwirtschaft über die gesetzlichen Mindestvorgaben hinaus gestärkt werden.
Lesen Sie dazu: Sascha Seemann, Arbeitsschutzexperte und VP Operational Management bei Betriebarztservice, im Interview mit der Fleischerwirtschaft über die Relevanz des Arbeitsschutzes im Betrieb.
Zwischenbericht des Bundesministeriums zur Umsetzung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes (ArbSchKG)
Zwei Jahre nach der Einführung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes, das unter anderem darauf abzielt, die sinkende Quote der Betriebsbegehungen umzukehren, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen aufschlussreichen Zwischenbericht veröffentlicht. Dieser zeigt deutlich: Die Herausforderungen sind größer als erwartet. Stand 2022 hat kein Bundesland die festgelegte Mindestbesichtigungsquote von fünf Prozent erreicht. Lediglich Sachsen-Anhalt nährt sich mit einer Quote von 3.1% der Zielvorgabe, während der bundesweite Durchschnitt bei 0.8% lag.
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis des Zwischenberichts des BMAS, Januar 2024
Der Bericht gibt jedoch mehrere Faktoren an, welche die geringen Inspektionsraten beeinflusst haben könnten. Da die Zahlen auf den Betriebsbegehungen aus 2022 basieren, beinhalten sie vermutlich noch negative Corona-Effekte, wie einen erhöhten Krankenstand bei den Kontrolleuren und Besichtigungsbeschränkungen in den Betrieben. Außerdem war die IT-Infrastruktur in einigen Bundesländer noch nicht weit genug entwickelt, um eine reibungslose Übermittlung der Kontrolldaten an die zentrale Meldestelle sicherzustellen. Daneben argumentiert das BMAS, dass auch die Zählmethode der Besichtigungen selbst, welche nur die strengen Besichtigungen mit Systembewertung (BmSys) beinhaltet, noch nicht der finalen Methode für die Berechnung der fünf-Prozent-Vorgabe entspricht.
Jedoch lässt der Report darauf schließen, dass die Zahlen auch im Jahr 2023 weit von den fünf-Prozent-Vorgaben entfernt liegen. Vor allem der akute Personalmangel an Kontrolleuren wird als Treiber aufgeführt. Der Bericht schätzt, dass zur Erreichung der Ziele bundesweit knapp 680 neue Kontrolleure eingestellt werden müssen. Bisher wurden in den Landeshaushalten 200 Stellen genehmigt. Aufgrund der Schuldenbremse und akuten Sparmaßnahmen in den Länderhaushalten ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl sich in den nächsten Jahren massiv erhöhen wird. Neben den Budgetbeschränkungen werden auch der Fachkräftemange und demografische Faktoren als negative Variablen aufgeführt. Ein Großteil der Kontrolleure wird in den nächsten Jahren die Arbeitswelt verlassen. Allein die Verrentung zu kompensieren und den Status Quo zu erhalten, wird eine große Herausforderung für die Behörden. Es bleibt also ein weiter Weg hin zur Erreichung des fünf-Prozent-Ziels des Arbeitsschutzkontrollgesetzes bis 2026.
Maßnahmen zur Umsetzung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes (ArbSchKG)
Trotz der Schwierigkeiten bei der Erreichung der fünf-Prozent-Vorgabe wird die Anzahl der Kontrollen zukünftig steigen. Für Arbeitgeber ist es entscheidend proaktiv zu handeln, um auf bevorstehende Inspektionen optimal vorbereitet zu sein. Hier sind einige strategische Schritte, die Sie ergreifen können, um eine Betriebsbegehung erfolgreich zu meistern:
1. Ruhe Bewahren und Vorbereiten
Verstehen Sie, dass Inspektionen durch staatliche Aufsichtsbehörden und Unfallversicherungsträger primär dazu dienen, Sicherheitslücken zu identifizieren und Ihnen dabei zu helfen, effektive Lösungen für Arbeitsschutzherausforderungen zu implementieren. Es gibt zwei Hauptformen von Besichtigungen:
• Besichtigung mit Systembewertung (BmSys)
Hierbei werden die Organisation Ihres betrieblichen Arbeitsschutzes und die Gefährdungsbeurteilung detailliert überprüft, um die Einhaltung der ArbSchG – Vorschriften und der DGUV Vorschrift 1 zu bewerten.
• Besichtigung mit Bewertung betrieblicher Arbeitsschutzprozesse (BmAP)
Diese umfasst alle sonstigen Betriebsbesichtigungen, die keine vollständige Systemüberprüfung beinhalten, aber dennoch wichtige Einblicke in die Arbeitsschutzpraktiken bieten.
2. Vorbereitung relevanter Dokumente
Stellen Sie sicher, dass alle relevanten Arbeitsschutzdokumente wie Gefährdungsbeurteilungen, Prüfberichte, Vorsorgenachweise, Betriebsanweisungen und Gefahrstoffverzeichnisse aktuell und leicht zugänglich sind.
3. Interaktive Begehung gestalten
Nutzen Sie die Betriebsbegehung als Chance, durch vorbereitete Fragen und angeregte Diskussionen gemeinsam mit den Prüfern die besten Lösungen für identifizierte Probleme zu erarbeiten.
4. Proaktive Mängelbeseitigung
Entwickeln Sie Strategien zur Behebung festgestellter Mängel in Zusammenarbeit mit Ihren Arbeitsschutzexperten, basierend auf den Notizen der Inspektoren und Ihren eigenen Beobachtungen.
5. Kommunikation mit relevanten Beteiligten
Informieren und involvieren Sie den Betriebsrat, die Sicherheitsbeauftragten, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Arbeitsmediziner, um gemeinsam vorzugehen.
6. Zeitliche Planung
Als verantwortliche Führungskraft sollten Sie am Tag der Besichtigung ausreichend Zeit einplanen, um aktiv teilzunehmen und die Bedeutung des Arbeitsschutzes zu unterstreichen.
Indem Sie diese Maßnahmen ernst nehmen und sorgfältig umsetzen, zeigen Sie nicht nur Ihr Engagement für die Gesundheit und Sicherheit Ihrer Beschäftigten, sondern verbessern auch aktiv die Arbeitsbedingungen in Ihrem Betrieb.
Unterstützungsmöglichkeiten und Beratungsangebote für Unternehmen
Arbeitsmediziner und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind unverzichtbare Partner für Unternehmen, wenn es darum geht, sich auf Betriebsbegehungen vorzubereiten und die Arbeitsschutzmaßnahmen kontinuierlich zu verbessern. Ihre Fachexpertise ist besonders in akuten Vorbereitungsphasen auf Inspektionen von unschätzbarem Wert. Folgende Beispiele zeigen, wie sie Ihr Unternehmen unterstützen können:
1. Überprüfung der aktuellen Dokumentation
Die Fachkräfte arbeiten eng mit Ihrem Unternehmen zusammen, um sicherzustellen, dass alle Gefährdungsbeurteilungen, technischen Richtlinien, oder Gefahrstoffverzeichnisse aktuell sind. Dies gewährleistet, dass Ihre Dokumentation den neuesten rechtlichen Anforderungen entspricht und bei einer Begehung sofort verfügbar ist.
2. Erstellung von Begehungschecklisten
Basierend auf ihrer Kenntnis der spezifischen Risiken in Ihrem Betrieb helfen Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte beim Erstellen von detaillierten Checklisten für die Begehung. Diese dienen als Leitfaden, um sicherzustellen, dass Sie mögliche Risiken proaktiv ansprechen und beheben können.
3. Vorbereitung Inspektion der Arbeitsplätze
Arbeitsschutzberater können gemeinsam mit Ihnen eine letzte Inspektion der Arbeitsplätze durchführen. Ziel ist es, potenzielle Mängel und Gefahrenquellen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um diese effektiv zu adressieren.
4. Vorbereitung spezifischer Nachweise
Die Fachkräfte aktualisieren und bereiten spezifische Nachweise und Berichte vor, wie zum Beispiel Messergebnisse zu Lärm, Luftqualität oder Gefahrstoffkonzentrationen. Diese Dokumentation ist essenziell, um während der Begehungen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nachzuweisen.
5. Durchführung von Angebots- und Pflichtvorsorgen
Arbeitsmediziner können kurzfristig wichtige Vorsorgeuntersuchungen durchführen, die noch nicht initiiert wurden. Diese Maßnahmen werden idealerweise in einem digitalen Vorsorgeregister dokumentiert, um den Zugriff und die Nachverfolgung zu erleichtern.
Diese Unterstützungsleistungen sind nur einige der Wege, über die erfahrene Arbeitsschutzexperten Ihr Unternehmen sicherer machen können. Durch die frühzeitige Einbindung dieser Fachleute stellen Sie sicher, dass Ihr Betrieb nicht nur den gesetzlichen Anforderungen entspricht, sondern auch ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld für alle Beschäftigten bietet.
Fazit: Die Notwendigkeit einer effektiven Arbeitsschutzpolitik in Unternehmen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Anzahl der Kontrollen zukünftig weiter steigen wird, auch wenn die Erreichung der fünf-Prozent-Schwelle bis 2026 noch in weiter Ferne erscheint. Arbeitgeber müssen sich auf vermehrte Begehungen einstellen. Mit einem guten Arbeitsschutzberater an der Seite und genügend Vorbereitung lassen sich Begehungen jedoch mühelos meistern und können als Chance dienen, um den Arbeitsschutz weiter zu professionalisieren.
Redaktion: Oliver Schmied (CFO Betriebsarztservice)
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