Wechseljahre am Arbeitsplatz: Warum Unternehmen jetzt hinschauen müssen – Interview mit hermaid

Wechseljahre am Arbeitsplatz-Interview mit hermaid

Unsichtbar, aber wirkungsvoll: Was Unternehmen über Wechseljahre wissen müssen.

Hitzewallungen während Meetings, Erschöpfung in der Projektleitung, emotionale Schwankungen in der Führungsetage – und dennoch wird das Thema kaum benannt. Die Wechseljahre betreffen mehr als die Hälfte aller weiblichen Beschäftigten im Laufe ihres Berufslebens. Trotzdem fehlen in vielen Unternehmen konkrete Strukturen, um Frauen in dieser Übergangsphase gezielt zu unterstützen.

Wir haben mit Hermaid gesprochen – Anbieterin eines innovativen Female-Health-Programms für Unternehmen – und gefragt: Welche Auswirkungen haben die Wechseljahre auf Produktivität und Karriereentscheidungen? Und welche Rolle spielt dabei der Arbeitsschutz?

“Die Wechseljahre sind nicht nur Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen – dieses stereotype Bild der “hysterischen Frau” wollen wir bewusst aufbrechen.

Jede Frau durchläuft – genau wie in der Pubertät – diese hormonelle Umstellungsphase. Meist beginnt sie nicht plötzlich, sondern schleichend – oft ab Mitte 30 oder um die 40.

Zu Beginn sind es Veränderungen, die man nicht unbedingt mit den Wechseljahren verbindet: trockene Haut, juckende Augen oder ein lauter werdende “innere Kritikerin”. Doch im weiteren Verlauf treten Symptome auf, die direkt in den Berufsalltag eingreifen: Konzentrationsprobleme (brain fog), Schlafstörungen, Reizbarkeit – bis hin zu depressiven Verstimmungen.

Die Phase ist nicht krankhaft – aber sie ist fordernd. Und sie bleibt oft unsichtbar, obwohl sie Millionen Frauen betrifft.

Diese “Midlife-Krise” wird oft belächelt, führt aber in Wahrheit dazu, dass viele Frauen sich zurücknehmen, das Gefühl haben, sich erst um sich selbst kümmern zu müssen – mit konkreten Konsequenzen: Sie schlagen Beförderungen aus, reduzieren Stunden oder verlassen die Karriereleiter.

Dabei haben Unternehmen klare Ziele: mehr Frauen in Führung, mehr Diversität. In Zeiten von Fachkräftemangel und wirtschaftlichem Druck ist das keine soziale Geste – sondern ein wirtschaftlicher Imperativ”, sagt Susanne von Hermaid.

Hermaid bietet ein Mitarbeiterinnen Benefit-Programm für Frauen in den Wechseljahren an. Was war der Auslöser, sich diesem oft tabuisierten Thema im Arbeitskontext zu widmen?

Hermaid: Frauen in der Lebensmitte – also etwa zwischen 40 und 60 sind heute so aktiv wie nie zuvor: berufstätig, oft in leitenden Rollen, und gleichzeitig mehrfach belastet durch Care-Arbeit, etwa für Kinder, Partner oder pflegebedürftige Angehörige. Sie tragen häufig das emotionale Rückgrat ihrer Familien und sozialen Netzwerke. In dieser besonders fordernden Lebensphase erleben viele zusätzlich die Wechseljahre – eine tiefgreifende hormonelle Umstellung, vergleichbar mit der Pubertät.

Obwohl bis zu zwei Drittel aller Frauen in den Wechseljahren unter belastenden Symptomen wie Schlafstörungen, Erschöpfungen, Hitzewallungen oder depressiven Episoden leiden, werden diese Beschwerden oft nicht ernst genommen oder fälschlischerweise äußerem Stress zugeschrieben. Dabei benötigt etwa ein Drittel der betroffenen Frauen tatsächlich medizinischen Unterstützung – etwa durch eine individuell abgestimmte Hormon-Ersatz-Therapie (HRT). Das Problem: Es gibt kaum spezialisierte Ärzt:innen, und das Thema wird gesellschaftlich und im Arbeitsumfeld nach wie vor tabuisiert.

Genau hier setzt hermaid an. Wir sind überzeugt, dass Arbeitgeber – ähnlich wie bei mentaler Gesundheit – einen enormen Hebel haben, Frauen in dieser Lebensphase zu unterstützen. Mit unserem Mitarbeiter-Benefit-Programm bieten wir niedrigschwellige, medizinisch fundierte Hilfe und schaffen gleichzeitig ein Stück Unternehmenskultur, das auf Enttabuisierung, Inklusion und Gesundheit setzt. Und: Das Ganze ist für Unternehmen sogar steuerlich begünstigt. Ein echter Win-win.

Was beobachten Sie in Unternehmen konkret? Wie äußert sich die Menopause am Arbeitsplatz?

Hermaid: In Unternehmen erleben wir, dass die Menopause zwar allgegenwärtig, aber unsichtbar ist. Viele Frauen sprechen nicht darüber – aus Angst vor Stigmatisierung, Unverständnis oder Karriereeinbußen. Die Symptome zeigen sich dennoch deutlich: Konzentrationsprobleme, Schlafmangel, Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen oder Erschöpfung beeinflußen die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden vieler Mitarbeiterinnen.

Konkret äußert sich das am Arbeitsplatz oft so:

  • häufige Krankheitstage oder stiller Rückzug
  • sinkendes Selbstvertrauen, z.B. in Meetings oder bei Führungsaufgaben
  • steigende Fluktuation – gerade erfahren Fach- und Führungskräfte orientieren sich um oder steigen ganz aus
  • und in manchen Fällen: Fehleinschätzungen durch Führungskräfte, weil Symptome nicht als gesundheitlich, sondern als persönliche Schwäche interpretiert werden.

Dabei wollen die meisten Frauen weder Mitleid noch Sonderstatus – sie brauchen schlicht Wissen, medizinische Unterstützung und ein offenes Umfeld. Genau hier kann ein strukturierter Umgang mit dem Thema enorme Wirkung entfalten – nicht nur für die Einzelne, sondern für das ganze Unternehmen: in Form von Mitarbeiterbindung, Diversität auf allen Ebenen und einer gesünderen, menschlichen Unternehmenskultur.

Welche psychologischen Belastungen spielen dabei eine Rolle, insbesondere im Hinblick auf Altersbilder und Führungskarrieren?

Michelle Müller (Betriebsarztservice Arbeitspsychologin): Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, der oft nicht genug Aufmerksamkeit enthält. Die mentale Belastung ist genau das, was die Wechseljahre für viele Frauen so herausfordernd macht – weil sie nicht immer greifbar ist und stark mit gesellschaftlichen Erwartungen verknüpft ist.

Viele Frauen erleben in dieser Lebensphase eine Art “Doppeldruck” – sie stehen beruflich auf dem Höhepunkt ihrer Verantwortung, spüren aber gleichzeitig körperliche Veränderungen, die sie nicht einordnen können oder kaum thematisieren dürfen. Das erzeugt inneren Stress, der auf Dauer zur Erschöpfung oder Rückzug führen kann – gerade im Führungskontext.

Zudem sind Altersbilder ein großer Faktor. Unsere Gesellschaft stellt Jugend, Dynamik und Belastbarkeit in den Vordergrund. Frauen in der Lebensmitte erleben dadurch oft einen unsichtbaren Identitätskonflikt: Bin ich noch “richtig” in meiner Rolle? Wie verändert sich meine Außenwirkung? Darf ich Schwäche zeigen?

Hermaid: Wir sehen in unserer Zielgruppe auch, dass viele Frauen in dieser Phase den Wunsch nach beruflicher Neuorientierung äußern – sei es durch eine Coaching-Ausbildung, eine Teilselbstständigkeit oder einen Perspektivwechsel. Oft haben, nicht mehr gesehen oder verstanden zu werden – insbesondere in klassischen Unternehmensstrukturen.

Deshalb ist es hermaid wichtig, nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch zu begleiten – mit Angeboten, die Selbstwirksamkeit stärken, Tabus abbauen und echte Räume für Austausch schaffen, Nur so lässt sich verhindern, dass wertvolle Kompetenzen verloren gehen – in einer Lebensphase, in der Frauen oft besonders viel zu geben haben.

1. Altersbilder und Selbstwertgefühl:

Unsere Gesellschaft verknüpft Jugend und Leistungsfähigkeit, Wandelbarkeit, Attraktivität. Frauen, die in die Lebensmitte kommen, spüren oft subtil (oder sehr direkt), dass sie aus diesem Bild “herausfallen”. Das führt zu inneren Konflikten:

  • Bin ich noch wirksam genug?
  • Wie werde ich wahrgenommen – als erfahren oder als “nicht mehr ganz auf dem Höhepunkt”?
  • Darf ich über meine Symptome sprechen, ohne Schwäche zu zeigen?

2. Tabu und Isolation:

Weil über die Menopause kaum gesprochen wird, fühlen sich viele Frauen allein mit ihren Beschwerden. Sie glauben, sie müssten “funktionieren” – auch mit Schlafmangel, Hitzewallungen oder emotionaler Erschöpfung. Diese Unsichtbarkeit kann zu Rückzug, Selbstzweifeln und Überforderungen führen.

3. Karrierekonflikte & Führungsverantwortung

Gerade in der Lebensmitte stehen viele Frauen beruflich auf dem Höhepunkt – sie führen Teams, treffen strategische Entscheidungen stehen im Rampenlicht. Gleichzeitig erleben sie körperliche Veränderungen, die sie nicht einordnen können oder die sie versuchen zu verstecken. Das erzeugt enormen Druck: zwischen dem Anspruch “stark” zu sein, und dem Bedürfnis nach Unterstützung.

4. Doppelbelastung und mentale Erschöpfung

Viele Frauen übernehmen in dieser Lebensphase zusätzlich Care-Aufgaben für alternde Eltern, Teenager-Kinder oder Partner. Diese emotionale Daueranspannung kann depressive Verstimmungen, Angstzustände oder das Gefühl innerer Entfremdung begünstigen.

Welche Rolle kann die Arbeitspsychologie im Unternehmen übernehmen?

Michelle Müller (Betriebsarztservice Arbeitspsychologin): Die Arbeitspsychologin spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, gesundheitsförderliche und inklusive Arbeitsbedingungen zu schaffen – gerade bei sensiblen Themen wie den Wechseljahren.

Arbeitspsychologie kann Brücken bauen – zwischen der individuellen Belastung und der organisationalen Verantwortung. Sie hilft dabei, Strukturen zu schaffen, in denen über mentale Gesundheit, hormonelle Veränderungen oder emotionale Erschöpfung offen gesprochen werden kann – ohne Angst vor Stigmatisierung.

Konkret bedeutet das:

  • Sensibilisierung von Führungskräften für die unsichtbaren Belastungen der Lebensmitte (z.B. durch Workshops, Briefings oder Coachings)
  • Entwicklung von psychologisch sicheren Räumen, in denen Mitarbeiterinnen offen über ihre Situation sprechen können
  • Begleitung von Veränderungsprozessen, z.B. wenn Frauen berufliche Neuorientierung suchen oder den Wunsch nach Flexibilität äußern
  • Mitgestaltung von betrieblichen Gesundheitsprogrammen, die mentale und körperliche Aspekte zusammen denken
  • Unterstützung beim Aufbau einer resilienten Unternehmenskultur, die Vielfalt in Lebensphasen und Lebensrealitäten ernst nimmt.

Wenn Arbeitspsychologie von Anfang an mitgedacht wird – und nicht erst dann, wenn es kriselt-, kann sie ernorm zur Bindung, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit vor Mitarbeiterinnen beitragen. Gerade in der Lebensmitte.

Welche Folge hat der Wechseljahre bedingte Ausfall von Mitarbeitern für Unternehmen? Sprechen wir hier bereits von einem wirtschaftlichen Schaden?

Hermaid: Wechseljahrebedingte Beschwerden verursachen jährlich einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden, vor allem durch Arbeitsausfälle, reduzierte Leistungsfähigkeit und vorzeitige Karriereausstiege. Für Deutschland wird der Kostenfaktor auf rund 9,4 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (Quelle: Menosupport-Studie).

Frauen mit hohem Frauenanteil sind besonders betroffen. Mit dem ROI-Rechner auf der hermaid Webseite können Organisationen den finanziellen Nutzen gezielter Unterstützung individuell berechnen.

Wie unterstützt Hermaid Unternehmen konkret?

Hermaid: Wir arbeiten auf drei Ebene, um Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen ganzheitlich zu unterstützen:

Auf Organisationsebene helfen wir, das Thema Wechseljahre als festen Bestandteil der Gesundheits- und Diversity-Strategie zu verankern. Dafür bieten wir Sensibilisierung für Führungskräfte, maßgeschneiderte Workshops für HR und die Integration des hermaid Programms. Wir sehen Betriebsärzte als wichtigen Hebel, um die medizinische Beratung und Prävention im Unternehmen zu stärken und den Dialog zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiterinnen zu fördern.

Auf Teamebene fördern wir den offenen Austausch und schaffen Bewusstsein. Wir befähigen Führungskräfte, typische Symptome zu erkennen und mit Verständnis auf ihre Mitarbeiterinnen einzugehen – das stärkt den Zusammenhalt und das Wohlbefinden im Team.

Auf Mitarbeiterebene stellen wir eine moderne, app-basierte Lösung bereit, die Frauen personalisierte medizinische Beratung und Selbstlernformate bietet. Die Nutzung der App erfolgt diskret und vertraulich, denn der Datenschutz steht bei uns an erster Stelle: Unternehmen erhalten ausschließlich anonymisierte Statistiken – sie erfahren niemals, wer die App nutzt. So schaffen wir ein sicheres Umfeld, in dem Frauen offen und selbstbestimmt ihre Gesundheit managen können.

Redaktion: Danke für das Interview mit hermaid und Frau Michelle Müller.

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Michelle Müller
Leitende Arbeitspsychologin
Michelle Müller, Leitende Arbeitspsychologin

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