Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz – 5 Tipps vom Arbeitspsychologen
Es ist alarmierend: 265 Fehltage je 100 Versicherte. Eine Zunahme von 56 Prozent im Vergleich zu 2010. Ganze 39 Tage bei Krankschreibungen. Der DAK-Psychreport 2021 bestätigt, was vielen wohl bereits klar war: Die Pandemie führte zu Rekordzahlen, was die Auswirkung von psychischen Erkrankungen im Berufsleben angeht. Betroffene müssen womöglich ihre Karrieren aufgeben, Unternehmen erleiden dadurch Verluste in Milliardenhöhe. Die gute Nachricht: Unternehmen können aktiv etwas tun, um das nachteilige Szenario zu vermeiden. Wir zeigen fünf positive Handlungsempfehlungen auf, wie man psychischen Erkrankungen vorbeugen und damit bestmöglich umgehen kann.
Erste Handlungsempfehlung: Darüber sprechen
Lange Zeit war es im Arbeitsleben unüblich, über die eigene psychische Gesundheit zu sprechen. Zu groß war bei vielen die Befürchtung, als schwach oder nicht belastbar angesehen zu werden. Auch der Verlust vom Arbeitsplatz spielte eine Rolle, wie auch Überlegungen, was wird wohl der Chef oder die Kollegen sagen, wenn es mal rauskommt. Die Zeiten haben sich geändert und viele Betriebe bieten bereits arbeitspsychologische Unterstützung an. „An erster Stelle kommt das Gespräch“, sagt Arbeitspsychologin Michelle Müller von Betriebsarztservice. „Eine offene Kommunikation kann dazu führen, dass das Stigma aufgelöst wird und Arbeitnehmer sich trauen, über ihre Belastungen zu sprechen.“ Die Belegschaft sollte das Gefühl bekommen, dass es ein Gehör für ihre Probleme gibt. Das Gespräch mit dem Arbeitgeber oder zumindest mit der Führungskraft sollte der Standard sein. Ein Gespräch mit Psychologen ist nur bei Bedarf notwendig bzw. ratsam und keinesfalls immer notwendig. Die Meinung eines Experten kann dem Arbeitnehmer helfen, sich zu öffnen und die Ursache des Problems zu erkennen. „Die Angst sollte dem Betroffenen genommen werden und die Situation im Betrieb sollte idealerweise so sein, dass man sich mit seinen Problemen nicht verstecken muss.“ In einer offenen Gesprächskultur können Missstände leichter angesprochen werden, was zur Optimierung der Arbeitsbedingungen führen kann und somit auch zu mehr Zufriedenheit.
Zweite Handlungsempfehlung: Gesundes Betriebsklima schaffen
Psychische Belastungen entstehen oft durch eine hohe Arbeitslast und schlechte Work-Life-Balance. Stress trägt dazu bei, dass wir uns erschöpft und unwohl fühlen. „Wenn man nur arbeitet, keine Pausen macht und den eigenen Körper überfordert, geht das irgendwann nach hinten los“, so Müller. „Burnout kann die Folge sein.“ Dieser Zustand schadet nicht nur dem Arbeitnehmer, sondern auch dem Arbeitgeber, da es zu langen Abwesenheiten kommen kann. Ausschlaggebend ist daher die Prävention. Die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung hilft dabei, Belastungsquellen zu identifizieren. Im Betrieb wäre es von wichtigem Vorteil, wenn auch vom Vorgesetzten selbst eine Work-Life-Balance vorgelebt wird. Er selbst Stressquellen erkennt und im Betrieb reduziert. Grundsätzlich profitieren Unternehmen mehr von gesunden Mitarbeitern als von krankheitsbedingten Ausfällen. Somit sollte der Fokus immer auf der Zufriedenheit und dem Wohlbefinden der Mitarbeiter ruhen.
Dritte Handlungsempfehlung: Symptome erkennen
Viele fragen sich, wie man psychische Belastungen erkennt. „Sie sind sehr vielfältig. Typische Belastungen sind Zeit- und Leistungsdruck, soziale Konflikte im Team oder mit der Führungskraft, wie auch die subjektive Wahrnehmung, dass die eigene Tätigkeit bedeutungslos ist“, so Müller. Die Symptome zeigen sich beispielsweise in Form von fehlender Motivation, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Verdauungsproblemen. „Viele leiden allein“, so Müller. „Sie sprechen mit niemandem darüber und denken, dass es schon bald wieder vergehen wird.“ Das Problem: Man kann eine psychische Erkrankung nicht sofort erkennen, sie hat nun mal keine Symptome wie die Grippe. Und doch können mentale Belastungen jahrelanges Leid verursachen. Um dem entgegenzutreten, sollten Arbeitnehmer dazu motiviert werden, ihre psychische Gesundheit zu pflegen. „Mehrere Studien haben erwiesen, dass beispielsweise Psychotherapie helfen kann.“
Mögliche Anzeichen einer psychischen Erkrankung können sein:
- Anhaltende Konzentrationsschwäche
- Schwierigkeit, die gewohnten Aufgaben wie üblich zu erledigen
- Soziale Isolation
- Stimmungsschwankungen
- Schlafprobleme und Appetitlosigkeit
Da jeder Mensch unterschiedlich ist und auch individuelle Belastungsgrenzen hat, ist es nicht so leicht, typische Symptome zu benennen, die für alle gelten. „Im Zweifel kann der Arbeitspsychologe immer beratend zur Seite stehen“, sagt Müller.
Vierte Handlungsempfehlung: Sich selbst begreifen
Wenn man sich nicht wohlfühlt, sollte man auf seinen Körper hören. Hier kann es sinnvoll sein, eine Ist-Analyse durchzuführen: Wie geht es mir wirklich? Bin ich glücklich oder nicht? Komme ich mit dem Arbeitsvolumen klar? Nehme ich berufliche Angelegenheiten mit in das Privatleben? Fühle ich mich oft allein? Dazu meint Müller: „Es kann nützlich sein, sich mit diesen Fragen selbst zu beschäftigen und die eigene Situation zu hinterfragen. Dann kann der Gang zum Arbeitspsychologen oder auch das Gespräch mit dem Arbeitgeber leichter sein“.
Fünfte Handlungsempfehlung: Unterstützung anbieten
Manchmal ist es der erste, wichtige Schritt, selbst um Hilfe zu bitten. Die direkten Arbeitskollegen können bei psychischen Belastungen oftmals helfen. Schon das alleinige verständnisvoll zuhören, kann dem Betroffenen das Gefühl geben, dass er/sie mit dem Problem nicht alleine dasteht. „Die Kollegen haben einen sehr großen Stellenwert. Daher ist es wichtig, ein gutes Miteinander zu pflegen. Mentale Probleme sollten kein Tabuthema sein“, so Müller. „Niemand soll sich schlechter deswegen fühlen. Es kostet unglaublich viel Energie, das vor anderen verstecken zu müssen.“ Arbeitgeber können Abhilfe schaffen, indem sie ihren Mitarbeitern erlauben, während der Arbeitszeit medizinischen Rat einzuholen oder zur Therapiestunde zu gehen. Manchmal hilft auch ein Flyer, der im Betrieb ausliegt und über die Problematik von psychischen Belastungen spricht. „Hilfreich ist auch die Angabe eines Kontakts, an den sich der Betroffene, wenn nötig, wenden können“, sagt Müller.
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